31. August 2016

Kanton Zürich verfügt in grosser Zahl Freiheitsbeschränkungen gegen Bewohner*innen der Notunterkünfte – Ein Statement der Autonomen Schule Zürich (ASZ)

Notunterkunft Kemptthal: Hier gibt es nicht mal eine Post oder einen normalen Supermarkt im Gemeindegebiet, in dem sich eingegrenzte Bewohner*innen bewegen dürfen. (Bild: Google StreetView)

Seit einiger Zeit bekommen die Bewohner*innen der Notunterkünfte (NUK) im Kanton Zürich in grosser Zahl Verfügungen ausgestellt, die sie per sofortiger Wirkung auf das Gemeindegebiet ihrer Unterkunft eingrenzen. Sollten sie sich dieser Anordnung widersetzen, können sie mit hohen Geldbussen sowie bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Diese Praxis ist nicht nur absolut unverhältnismässig sondern zudem extrem willkürlich und dilettantisch.

Bei dem betroffenen Personenkreis handelt sich sowohl um Asylbewerber*innen, deren Gesuch vor nicht allzu langer Zeit abgewiesen wurde, als auch zu einem grossen Teil um Personen, die schon seit vielen Jahren in der Schweiz sind. Viele von ihnen können nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschafft werden. Was der Schweizer Staat allerdings kann, ist, sie zu illegalisieren und somit zu kriminalisierten Subjekten zu degradieren. Was sich strukturell in den NUKs dieses Landes abspielt, zeichnet ein erschreckendes Bild einer repressiven und gewaltsamen Grauzone, die die Grundrechte einer ganzen Gruppe von Personen systematisch einschränkt und ignoriert.

Die neue Praxis der Eingrenzungsverfügungen im Kanton Zürich ist ein weiterer Baustein dieses Systems. Oftmals werden die Personen im Zuge dieser neuen Massnahme ohne Vorwarnung von der Polizei abgeholt und für ein paar Tage oder länger ins Gefängnis gebracht. Da ihr ungeregelter Aufenthalt dem Gesetz nach als Straftatbestand gilt, können sie willkürlich und jederzeit von der Polizei verhaftet werden. In vielen Fällen verstehen sie nicht, worum es sich bei der Eingrenzung überhaupt handelt. Zudem haben sie praktisch keine Möglichkeit Beschwerde gegen die angeordnete Freiheitsbeschränkung einzureichen, da ihnen keine Sondergenehmigungen erteilt werden, um eine Rechtsberatungsstelle sowie einen Anwalt oder ein Anwältin aufzusuchen. Sie würden sich somit strafbar machen, wenn sie ihre Rechte wahrnehmen wollen.

Nahezu tägliche Polizeieinsätze in den Notunterkünften

Begleitet wird diese neue Form der Freiheitsbeschränkung von zunehmenden, nahezu täglichen Polizeieinsätzen in den NUKs, meistens in den frühen Morgenstunden, bei denen Personen unangekündigt abgeholt werden. Die Angst, der oder die nächste zu sein, hängt alle Zeit wie ein Damoklesschwert über den betroffenen Personen. Um dem psychischen Druck in der Nacht irgendwie zu entgehen, schlafen manche inzwischen im Wald. Die Stimmung ist extrem angespannt. Der Grad an Zermürbung nimmt von Woche zu Woche zu.
Der neue Straftatbestand der Eingrenzung stellt vor allem auch eine Methode dar, die möglichen Gefängnisstrafen für Personen ohne geregelten Aufenthalt drastisch zu erhöhen. Sowohl das Strafmass für „illegalen Aufenthalt“ als auch die Ausschaffungshaft sind jeweils zeitlich begrenzt. Mit der neuen Eingrenzungspraxis gleichen die NUKs zudem mehr und mehr einem „offenen“ Gefängnis. Hier zeichnet sich eine Entwicklung ab, die in deutlicher Form darauf hinweist, wie sich die Ausgrenzungs-, Freiheitsbeschränkungs- und Isolierungspraktiken gegenüber dem beschriebenen Personenkreis mit dem neuen Asylgesetz verschärfen werden.

Rechtspopulistische Methoden von SP-Regierungsrat Mario Fehr

Regierungsrat Mario Fehr (SP) hat in der Massnahme der Eingrenzungen eine weitere Methode gefunden abgewiesene Asylbewerber*innen zunehmend zu drangsalieren. Aus seiner Vorliebe für eine strenge Law-and-Order-Politik hat er nie einen Hehl gemacht. Die Verfechter dieser Praxis scheinen sich von einem harten Vorgehen zu versprechen, dass die betroffenen Personen irgendwann aufgrund von Frustration, Angstzuständen und psychischer Gebrochenheit „freiwillig“ die Schweiz verlassen. Ein typisches Szenario in diesem Zusammenhang ist es, dass betroffene Personen aufgrund des massiven Drucks in andere europäische Länder abhauen. Wenn sie dort von den Behörden aufgegriffen werden, schaffen diese sie im Rahmen der Dublin-III-Verordnung wieder zurück in die Schweiz. Dann beginnt das Repressionskarussell von vorne. Von einer politischen Lösung lässt sich hier also mitnichten sprechen. Im besten Fall geht es um ein Geschacher mit bürokratischen Zahlen, die vielleicht der eigenen politischen Reputation nützen, jedoch weit davon entfernt sind, die reale Tragweite und Ernsthaftigkeit des Themas anzuerkennen.
Gestärkt und bestätigt fühlt sich Sicherheitsvorsteher Mario Fehr von einem öffentlichen Diskurs, in dem es immer mehr en vouge zu sein scheint, Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen über keinen gültigen Aufenthaltsstatus verfügen, Grundrechte abzusprechen und sich darüber hinaus in einer unsäglichen Mixtur aus Sicherheitsdebatte und Nationalismus über ihre schiere Existenz zu empören und zu echauffieren. Dabei ist sich Mario Fehr auch nicht zu schade, sowohl in den Medien als auch gegenüber unterschiedlichen Personen, auch auf Nachfrage hin, Unwahrheiten zu verbreiten, die nach bester rechtspopulistischer Manier ans allgemeine Bild des „krimminellen Illegalen“ Anschluss finden: In einem Interview mit der Zürichsee-Zeitung im Juli versicherte er, die Massnahme der Eingrenzungen bezöge sich ausschliesslich auf delinquente Personen. Diese Aussage stimmt mit der realen Praxis nicht überein. Ein grosser Teil der betroffenen Personen verfügt über ein leeres Strafregister, wenn man vom Straftatbestand des illegalen Aufenthalts absieht. Hier wird die Öffentlichkeit bewusst getäuscht und werden Menschen zu Unrecht kriminalisiert. Mit dieser neuen Praxis setzt sich der Kanton Zürich an die Spitze der Verfechter einer Politik von gewaltsamen  Zwangsmassnahmen in den Notunterkünften. Andere Kantone wie z. B. St. Gallen oder Graubünden wollen von solch umfangreichen Eingrenzungsverfügungen nichts wissen.

Unverhältnissmässig, willkürlich und diletantisch

Es gibt fünf Notunterkünfte im Kanton Zürich: In Kemptthal (Gemeinde Lindau) befindet sich nicht mal eine Post im Rayon sowie ein Supermarkt, in dem man zu normalen Preisen einkaufen könnte. Regelmässig führt die Polizei systematische Kontrollen am Bahnhof durch. In Urdorf, wo die betroffenen Personen, ähnlich wie in Uster, in einem unterirdischen Zivilschutzbunker ausserhalb des Ortes untergebracht sind, umfasst das Gemeindegebiet gerademal 7.62 Quadratkilometer. In der NUK Rohr werden die Personen auf die Gemeinde Kloten eingegrenzt, deren Stadtgebiet sie jedoch nur erreichen können, wenn sie ein anderes Gemeindegebiet durchqueren. In Adliswil werden Eingrenzungen gegen alleinerziehende Mütter verfügt, die dann gezwungen sind mit ihren minderjährigen Kindern im Rayon zu verbleiben oder diese allein in die Stadt fahren zu lassen.
Die Praxis der Eingrenzungen im Kanton Zürich ist nicht nur absolut unverhältnismässig sondern zudem extrem willkürlich und dilettantisch.

Seit einigen Wochen besucht eine Gruppe von Aktivist*innen der ASZ regelmässig die NUKs, um sich ein konkretes Bild über die Auswirkungen der Eingrenzungen zu verschaffen und gemeinsam mit verschiedenen Rechtsberatungsstellen und Anwält*innen die betroffenen Personen bei der Einreichung von Beschwerden zu unterstützen.

Die Autonome Schule Zürich (ASZ) verurteilt die repressiven Entwicklungen im Kanton Zürich scharf und fordert eine sofortige Einstellung dieser politischen Praxis.

Im Gegenzug dazu treten wir ein

* für eine Regularisierung des Aufenthaltsstatus der betroffenen Personen
* für eine öffentliche Debatte, die sich auf Fakten stützt und populistischen Denkschemata Einhalt gebietet
* für die Sicherstellung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Zugängen für alle Menschen

KEIN MENSCH IST ILLEGAL
BLEIBERECHT FÜR ALLE

Artikel zum Thema in der Papierlosen Zeitung